📘 Der Zweck: Warum Du ein Gefühlsbuch führst
Gefühle und Emotionen #GefühlsbuchDas Führen eines Gefühls- oder Wochenbuchs ist eine der effektivsten Techniken zur Steigerung der emotionalen Alphabetisierung (emotional literacy) und zur Verbesserung der Emotionsregulation. Du lernst, Deine inneren Zustände präzise zu erkennen, bevor sie Dich überwältigen.
Hier ist eine sehr ausführliche Anleitung, wie Du ein solches Tagebuch anlegst und welche Techniken Du zur Vertiefung nutzen kannst.
Der Hauptzweck der emotionalen Protokollierung ist die Mustererkennung. Dein Tagebuch hilft Dir dabei:
- Auslöser identifizieren: Du erkennst, welche spezifischen Situationen (extern) oder Gedanken (intern) Deine stärksten Emotionen hervorrufen.
- Emotionen benennen: Du lernst, die feinen Nuancen Deiner Gefühle zu unterscheiden (z. B. zwischen Ärger und Frustration oder Trauer und Melancholie).
- Kausalketten aufdecken: Du verstehst, wie ein Ereignis zu einem bestimmten Gedanken, dieser zu einer Emotion und diese wiederum zu einer spezifischen Reaktion führt.
- Maladaptive Muster erkennen: Du identifizierst ungesunde Bewältigungsstrategien (z. B. Wut mit Essen oder Prokrastination beantworten).
📝 Technik 1: Das Klassische Gefühlstagebuch (Prozessfokus)
Diese Technik basiert auf dem psychologischen Prozessmodell der Emotionsregulation und ist die Basis für jeden Eintrag.
| Element | Fokus und Ziel | Anleitung zur Aufzeichnung |
| 1. Situation / Kontext | Objektiver Auslöser: Was ist passiert? Wer war beteiligt? Wo fand es statt? | Beschreibe die Szene neutral (wie eine Kamera). Beispiel: „Der Chef schickte um 17:30 Uhr eine E-Mail mit der Bitte um eine dringende Änderung für morgen früh.“ |
| 2. Gedanke / Kognitive Bewertung | Subjektive Interpretation: Was war Dein erster, automatischer Gedanke? Dieser Gedanke löst die eigentliche Emotion aus. | Benenne die innere Stimme. Beispiel: „Das ist unfair. Er schätzt meine Zeit nicht. Ich werde das nie schaffen.“ (Katastrophisierung). |
| 3. Emotion & Intensität | Das Gefühl identifizieren: Welche Emotion hast Du gespürt? | Benutze eine Skala (0–10 oder 0–100), um die Stärke der Emotion festzuhalten. Beispiel: „Angst (90/100) und Wut (70/100).“ |
| 4. Körperliche Reaktion | Die Emotion im Körper: Wo und wie hast Du die Emotion gespürt? | Beschreibe die physiologische Reaktion (die Emotion). Beispiel: „Enge in der Brust, Herzrasen, feuchte Hände.“ |
| 5. Verhalten / Reaktion | Dein Coping-Mechanismus: Was hast Du daraufhin getan? | Halte fest, ob die Reaktion adaptiv (gesund) oder maladaptiv (ungesund) war. Beispiel: „Ich habe die E-Mail ignoriert und zur Beruhigung einen Snack gegessen (maladaptiv).“ |
Ergänzung: Die Neubewertung (Regulation)
Füge nach der Analyse (Schritt 1–5) einen weiteren Schritt hinzu, um die Regulation zu üben:
- 6. Kognitive Neubewertung: Welchen gesünderen, rationaleren Gedanken hättest Du wählen können, um die Intensität zu senken? Beispiel: „Das ist zwar ärgerlich, aber ich muss nicht alles heute schaffen. Ich schreibe zurück, dass ich morgen um 9 Uhr eine Rückmeldung gebe.“
📋 Technik 2: Das ABC-Modell (Kognitive Verhaltenstherapie, KVT)
Dieses Modell ist eine vereinfachte, aber fokussierte Methode, um die direkte Verbindung zwischen Auslösern, Bewertungen und Konsequenzen zu beleuchten (nach Albert Ellis).
- A – Activating Event (Auslöser): Die Situation oder das Ereignis (gleichbedeutend mit Situation).
- B – Belief (Bewertung): Deine Überzeugung oder Dein Gedanke über A (gleichbedeutend mit Gedanke).
- C – Consequence (Konsequenz): Die emotionale und verhaltensbezogene Folge (gleichbedeutend mit Emotion und Reaktion).
- D – Dispute (Disput/Hinterfragung): Die aktive Infragestellung Deiner Überzeugung (B) und die Formulierung einer rationaleren Alternative.
Anwendung: Wenn Du Dich schlecht fühlst (C), gehe zurück zu Deinem Gedanken (B) und frage: „Stimmt dieser Gedanke (B) objektiv gesehen, oder ist er nur eine Übertreibung?“ Dies ist der Kern der kognitiven Umbewertung.
📊 Technik 3: Das Raster-Tagebuch (Quantifizierung und Muster-Tracking)
Wenn Du kein klassisches Tagebuch führen möchtest, nutze ein Raster für einen schnellen Überblick über Deine Stimmung im Tagesverlauf:
Erstelle eine Tabelle für eine Woche (oder einen Monat) und tracke täglich zu drei festen Zeiten (z. B. 9:00 Uhr, 14:00 Uhr, 20:00 Uhr) die folgenden Punkte:
| Datum / Uhrzeit | Hauptemotion | Intensität (0–10) | Aktivität/Auslöser |
| Mo. 9:00 Uhr | Fokus (Interesse) | 7 | Fertigstellung der Morgenroutine. |
| Mo. 14:00 Uhr | Frustration | 9 | Meeting mit Kollege A (Thema X). |
| Mo. 20:00 Uhr | Erschöpfung | 8 | Abendessen und Lesen. |
Vorteil: Nach ein paar Wochen siehst Du sofort, ob Deine stärksten negativen Emotionen konstant zur selben Zeit (z. B. jeden Montag um 14:00 Uhr) oder in Verbindung mit derselben Person/Aktivität auftreten.
💡 7 Tipps für die Praxis
- Sei ehrlich, nicht nett: Schreibe nur für Dich. Bewerte Dich nicht für das, was Du fühlst. Scham und Wut sind genauso wichtig wie Freude.
- Achte auf die Sprache: Vermeide allgemeine Begriffe wie „schlecht“ oder „gut“. Nutze die detaillierten Emotionslisten (z. B. Wehmut statt nur Trauer).
- Fokussiere auf die Welle: Beschreibe nicht die ganze Geschichte, sondern den Moment, in dem die Emotion ihren Höhepunkt erreicht hat.
- Schreibe sofort: Versuche, den Eintrag so nah wie möglich an dem Ereignis zu verfassen. Je länger Du wartest, desto stärker verzerrt Dein Kortex die tatsächliche emotionale Reaktion.
- Regelmäßigkeit > Länge: Es ist besser, täglich 5 Minuten kurz und ehrlich zu schreiben, als einmal pro Woche eine Stunde lang zu grübeln.
- Analysiere regelmäßig: Nimm Dir einmal pro Woche 15 Minuten Zeit, um Deine Einträge zu überfliegen. Suche nach den wiederkehrenden Mustern bei Situation und Reaktion.
- Nutze es als Puffer: Sieh das Tagebuch als einen sicheren Ort, um Dich emotional „auszuleeren“, ohne andere zu verletzen. Das allein ist schon eine Form der Reaktionsmodulation.
